Schwerpunktthema

  

offenes Schloss, das Tastatur symbolisch entsperrt

Die Teilnahme am Gesellschaftsleben wird durch barrierefreie Technologien immer öfter ermöglicht

 

Barrierefreier Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht Menschen mit Beeinträchtigungen unter Zuhilfenahme Assistierender Technologien die selbstbestimmte,
gleichberechtigte und aktive Partizipation an der Gesellschaft. Die von barrierefreien Webseiten profitierenden Nutzergruppen beschränken sich jedoch nicht nur auf Menschen mit Beeinträchtigungen. Ältere Menschen leiden häufig unter visuellen oder motorischen Defiziten und sind daher ebenso auf barrierefreien Zugang zum Internet angewiesen. Auch die stark wachsende Gruppe der Nutzer mobiler Endgeräte profitiert von barrierefreien Webseiten, da sich diese aufgrund ihrer plattformunabhängigen Konstruktion auf mobilen Endgeräten besser darstellen lassen. Betrachtet man die Anzahl der Menschen mit Beeinträchtigungen in Europa, das starke künftige Wachstum der älteren Generation und eine zunehmende Online-Nutzung von mobilen Endgeräten, so wird deutlich, dass auch betriebswirtschaftliche Gründe für die Implementierung von barrierefreien Webseiten sprechen. Unternehmen, die barrierefreie Webseiten implementieren, sprechen somit eine erheblich breitere Kundengruppe an und profitieren von deren Kaufkraft. 

Trotz einiger Versuche, den Bekanntheitsgrad von Barrierefreiheit zu steigern, befindet sich die Implementierung von barrierefreien Webseiten in Unternehmen noch im Anfangsstadium. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Einführung von barrierefreien Webseiten in Unternehmen zu ermitteln, wurde am Fachbereich Electronic Business der Universität Wien eine Studie durchgeführt.
Diese beinhaltet eine Fallstudienanalyse von drei Industriesektoren, die eine hohe Relevanz im Bereich Electronic Business aufweisen und gleichzeitig Vorgänge repräsentieren, die täglich ausgeführt werden und deren Online-Abwicklung eine erhebliche Erleichterung bedeutet: (i) Tourismus, (ii) Finanzdienstleistungen und (iii) Online-Medien. In jedem Sektor wurden zwei Unternehmenstypen analysiert: solche, die Barrierefreiheit erfolgreich implementierten und jene, bei denen die Implementierung scheiterte. 

Eine zweistufige Evaluation von insgesamt 89 Unternehmens-Websites ergab, dass nur 12 % der getesteten Webseiten barrierefrei sind. Barrierefreies Web ist demnach in diesen drei Sektoren wenig verbreitet. Insgesamt zwölf semistrukturierte Tiefeninterviews mit in der Umsetzung erfolgreichen und gescheiterten Unternehmen gaben Aufschluss über Gründe für erfolgreiche bzw. fehlgeschlagene Verbreitung. Die erhaltenen Daten wurden hinsichtlich verschiedener Ausprägungen analysiert: (i) Motive für die Implementierung von barrierefreien Webseiten, (ii) Gründe für fehlgeschlagene Implementierungen und (iii) wahrgenommene Veränderungen nach einer erfolgreichen Implementierung. Dieser Beitrag  greift exemplarisch Ergebnisse zu den Motiven für eine Implementierung von barrierefreien Webseiten heraus. Die durchgeführte Studie ergab, dass die Implementierung von barrierefreien Webseiten aus wirtschaftlichen, sozialen oder technischen Motiven erfolgen kann. 

Setzen Unternehmen Barrierefreiheit aus wirtschaftlichen Motiven ein, so fokussieren sie auf Kundenzufriedenheit und nutzen barrierefreie Seiten als Mittel zur Steigerung des Umsatzes, des Images oder des Kundenstocks. Gleichzeitig wird auch die Notwendigkeit, sich von Konkurrenten abzugrenzen, als Grund für die Implementierung genannt. Ein Interviewpartner stellte fest: „Wir haben versucht, die Ersten zu sein, die barrierefreie Webseiten anbieten, in erster Linie, um uns von unseren Konkurrenten abzugrenzen.“ Darüber hinaus trägt die zunehmende Überalterung der Gesellschaft dazu bei, das rasch wachsende Kundensegment der älteren Menschen mit einzubeziehen, um deren Kaufkraft ausschöpfen zu können. „Unsere Webseite wird überdurchschnittlich von älteren Menschen besucht; diese Kundengruppe ist kaufkräftig“, so ein Interviewpartner. 

Ferner können soziale Motive die Ursache für die Implementierung von barrierefreien Webseiten sein. In diesem Fall stellen soziale Verantwortung und ethisches unternehmerisches Verhalten die Einflussfaktoren für die Einführung von Barrierefreiheit dar. Soziales Verhalten hängt stark von der Unternehmenskultur ab, welche wiederum maßgebend dafür ist, wie bereit Mitarbeiter für organisationale Veränderungen bzw. Innovationen sind. Ein Veränderungsprozess in Organisationen, wie beispielsweise die Einführung von barrierefreien Webseiten, wird daher in einer auf sozialen Werten basierenden Unternehmenskultur bedeutend erleichtert. „Wir möchten eine anständige Bank sein. Daher krempeln wir die Ärmel hoch und bemühen uns, die richtigen Dinge zu tun“, so ein Befragter des Bankensektors. 

Die Implementierung von Barrierefreiheit kann aber auch in technischen Motiven begründet sein. In diesem Fall soll die Qualität, Sicherheit und Stabilität der Webseite verbessert werden. Ein Interviewpartner im Sektor Online-Medien gab beispielsweise an: „Wir wollten eine qualitativ hochwertige, standardkonforme Webseite, die gut benutzbar und barrierefrei ist.“ Ferner ist die schlechte Qualität bestehender Webseiten oft ein Grund, Barrierefreiheit in zukünftige Internetauftritte mit einzubeziehen, da diese eine klare Struktur aufweisen, besser benutzbar, schneller downloadbar und daher qualitativ hochwertiger sind. „Niemand war mit der alten Webseite zufrieden. Sie sah nicht gut aus und funktionierte nicht zufriedenstellend“, so ein Befragter. Im Online-Medien Sektor sind vermehrt technische Motive für die Einführung von Barrierefreiheit feststellbar. Dies liegt vor allem darin begründet, dass Online-Medien ihr Kerngeschäft ausschließlich über die Webseite betreiben. Im Finanzdienstleistungs- und Tourismus-Sektor hingegen ist die Einführung von Barrierefreiheit eher mit sozialen und ökonomischen Motiven verbunden.  Die Ergebnisse dieser Fallstudie stellen einen ersten betriebswirtschaftlichen Ansatz dar, um die wirtschaftlichen Implikationen von barrierefreiem Web zu identifizieren und stellen somit nicht nur Basis für weitere Forschungsarbeiten dar, sondern bieten auch Entscheidungsunterstützung für das Management. 

Autor: Dr. Marie-Liuse Leitner 

Kontakt
ao. Univ.-Prof. Dr. Christine Strauß
Department of eBusiness
School of Business, Economics and
Statistics, University of Vienna
Bruenner Str 72, A – 1210 Wien
Tel.: +43 1 42 77-38 112
Fax: +43 1 42 77-38 115
http://bwl.univie.ac.at/ebusiness/
strauss

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