Mag. Michael Fischer

Bildungsinitiativen verursachen Kosten – und dies gleichermaßen für die AnbieterInnen (Entwicklung, Marketing, Ressourcenbereitstellung…) als auch für die NutzerInnen (Zeitaufwand, Kurskosten, Kinderbetreuungskosten…). Daher ist es eine zentrale Aufgabe des Bildungssektors, Angebote zu entwickeln, die weitestgehend dem Bedarf der NutzerInnen entgegenkommen – dies sind aber nicht nur die Lernenden selbst. Stellt sich die Frage nach dem Bildungsbedarf einer gesamten Region, so zeigt sich rasch, dass es hier viele Verflechtungen und unterschiedliche Ansichten von „Notwendigkeiten“ von Bildung gibt. Daher sollte eine Bedarfserhebung über das bloße Abfragen von interessierten Bildungsinhalten hinausreichen.

Bildungsbedarf ist eine Konstruktion
Die Diskussion eines Bildungsbedarfs fußt meist auf der Erkenntnis eines Defizits an Bildung oder Kompetenzen, aus dem heraus dann ein konkreter Bildungsbedarf entwickelt wird. Wichtig ist dabei, die jeweiligen Kontexte zu betrachten. Diese können anwendungsbezogen sein (z. B. ein/e MitarbeiterIn einer Organisation bekommt eine neue Aufgabe übertragen) oder sich auf Normen und Werthaltungen begründen (z. B. Bildung als Stärkung der eigenen Selbstbestimmung). Damit ist der Bedarf an sich nicht etwas Vorgegebenes, sondern wird entsprechend dieser Kontexte „konstruiert“. Die Frage ist nun, welcher Kontext wird als relevant erachtet, so dass er in der Bildungsplanung anderen vorzuziehen ist?

Personen, Organisationen und die Region haben Bedarf an Bildung
Plant man eine Bildungsbedarfserhebung in einer Region, gilt es zunächst drei verschiedene Ebenen mit spezifischen Interessen zu unterscheiden. Oftmals sind deren Anforderungen an Bildung und Kompetenzerwerb unterschiedlich, wenn nicht sogar widersprüchlich. So möchten die einzelnen BewohnerInnen der Region individuell meist sehr unterschiedliche Ziele erreichen. Dementsprechend vielfältig ist das benötigte „Rüstzeug“ um die einzelnen Lebenssituationen zu meistern. Die in der Region ansässigenOrganisationen (Vereine, Unternehmen, NGOs, etc.) benötigen zur Erfüllung ihrer Aufgaben ebenso spezifische Kompetenzen ihrer Mitglieder oder MitarbeiterInnen, jedoch vor allem aus dem Gesichtspunkt der Organisationsziele.
Auf der nächst höheren Ebene, der „Bildungsstakeholder“, finden wir schließlich meist zwei Ansätze zu Fragen des Bildungsbedarfs des Gesamtsystems Region. Einerseits kann die Region analog zu den Einzelpersonen und Organisationen als System verstanden werden, das Ziele erreichen muss. Im Unterschied zu den Individuen und Organisationen handelt es sich dabei vor allem um Ziele im öffentlichen Interesse (z. B. Stärkung der Wirtschaftskraft, Integration, Sicherung und Verbesserung der Lebensqualität, etc.).  Als zweiten wesentlichen Aspekt verkörpert die Region die Ebene der Gesellschaft mit all ihren Werten und Normen. Diese sichern den gesellschaftlichen Zusammenhalt und verkörpern demnach ebenfalls Ziele, die es durch Bildung und Kompetenzen abzusichern gilt.

Erkennbare und verborgene Bildungsbedarfe
Vordergründig erscheint es nun zweckmäßig den erforderlichen Bedarf von Einzelpersonen, Organisationen und regionalen (Entwicklungs-) Zielen, Werte und Normen zu erfragen um entsprechende Bildungsangebote abzuleiten. Zu einem gewissen Teil ist dies sicher möglich, da man in den meisten Fällen eine Antwort auf die Frage bekommt, welche Bildung vonnöten ist. Wir sprechen dabei vom erkennbaren oder manifesten Bedarf. Darüber hinaus bleiben aber viele Bedarfe verborgen (latent), da einerseits die Ziele nicht immer eindeutig formuliert vorliegen und andererseits die Verbindung zwischen einem Ziel und Bildung bzw. Kompetenzen als Ressource zur Zielerreichung für die Betroffenen oft schwer zu ziehen ist. Ist es unter diesen Voraussetzungen dann überhaupt möglich, Bildungsbedarfe zu erheben, die über den erkenn- und erfragbaren Anteil hinausgehen oder muss man eine „Nichtplanbarkeit“ der Bildung anerkennen? Zahlreiche bereits erfolgreich durchgeführte Bedarfserhebungen zeigen, dass Bildungsplanung durchaus möglich ist, wenngleich aber immer auch
Unsicherheiten damit verbunden sind. Einige Orientierungen können helfen, regionale Bildungsbedarfserhebungen auf eine solide Basis zu stellen:
Dialogorientierung

Bildungsbedarfe können verstanden werden als „Ergebnis gesellschaftlicher Kontexte und Perspektiven sowie von Diskussionsprozessen und Aushandlungen“ (Faulstich 2003: 25). Damit manifeste und latente Bedarfe erfasst werden können, braucht es also einen Dialog zwischen Bildungsstakeholdern (s. o.), Bildungsträgern sowie jenen, die sich die Kompetenzen aneignen sollen. Lediglich „am grünen Tisch“ geplante Maßnahmen greifen zu kurz.
Zielorientierung
Gerade die regionale Ebene bietet zahllose Anknüpfungspunkte für Bedarfe an Bildung, da sie sehr viele verschiedene Sichtweisen und unterschiedliche Zielsetzungen umfasst. Daher ist es wichtig, sich in der gemeinsamen Diskussion auf ausgewählte und für die Region und ihre BewohnerInnen zentrale Ziele zu verständigen. Dieser Fokus bildet die Basis für die gemeinsame Arbeit.
Netzwerkorientierung

Um den Dialog, die Zieldefinition sowie die Entwicklung der daraus resultierenden Angebote sicherzustellen, ist es wichtig, dass eine Struktur für die Beteiligung der relevanten Gruppen geschaffen wird. Besonders Netzwerke bieten sich hier an, da sie eine flexible Kombination unterschiedlicher Gruppen zu verschiedenen Zeiten und zu unterschiedlichen Fragestellungen erlauben. Prozessorientierung Bildungsbedarfe lassen sich nicht mit nur einer Methode an nur einem Zeitpunkt umfassend darstellen. Ein koordinierter Ablauf verschiedener Phasen (siehe Abbildung links oben) kann die Einbeziehung aller relevanten Gruppen absichern. Wichtig ist, dass die gemeinsame Arbeit mit einer Evaluation endet und so überprüft werden kann, ob die identifizierten Bedarfe sowie die erarbeiteten Bildungsmaßnahmen auch die gewünschten Ziele erreicht haben. Einen umfassenden Überblick zu Prozess und Methode einer regionalen Bildungsbedarfserhebung bietet das Handbuch, das vom OIEB im Rahmen der „Lernenden Regionen“ erstellt wurde.

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