IT und Recht

Dr. Albrecht Haller

Dr. Albrecht Haller

Albrecht Haller über ehrenrührige Äußerungen zweierlei Grades

Dank der Enthüllungsplattform WikiLeaks haben wir unlängst erfahren, wie abscheulich manche Diplomaten an der Wiener US-Botschaft über unsere Spitzenpolitiker räsonieren. Über Bundeskanzler Werner Faymann ist zu lesen: “Es ist klargeworden, dass Faymann kein persönliches Interesse an Außenpolitik hat.” Außenminister Michael Spindelegger sei “weitgehend darauf konzentriert, das Vordringen der österreichischen Wirtschaft” zu fördern. Und Verteidigungsminister Norbert Darabos sei “an Außen- und internationaler Sicherheitspolitik uninteressiert”. Fehlt nur noch, dass ein frecher US-Diplomat schreibt, unser Bundespräsident sei ein Zauderer und Drückeberger!

Um wie viel freundlicher geht es doch in Gästebüchern zu! Vor allem papierene Gästebücher versammeln in der Regel wohlmeinende und schmeichelhafte Äußerungen über den Gastgeber. Auch Online-Gästebücher enthalten meistens freundliche Anmerkungen harmloser Zeitgenossen. Aber eben nur meistens.

Vor ein paar Jahren tauchte im Online-Gästebuch einer Vorarlberger Tourismusgesellschaft eine bemerkenswerte Eintragung auf. Ein unter einem Decknamen auftretender Nutzer warnte vor einem bestimmten, namentlich genannten Gastwirt und dessen Beherbergungsbetrieb. Der Kritiker sparte nicht mit Vorwürfen: “Unfreundlich, Teuer, Null Service, Null Bock”, “Jürgen meldet seine Gäste nicht bei der Gemeinde an.”, “Er betreibt in seinem Keller eine Bar ohne Konzession.” und so weiter. Die Kritik gipfelte in einer feinsinnig differenzierten Aufforderung: “An alle Gäste: Dieses Haus unbedingt meiden. An alle Lecher: Jagt diesen Mann mit Schimpf und Schande vom Berg.”

Kein Wunder, dass der unter Angabe seines vollen Namens angegriffene Gastwirt sich damit nicht abfinden wollte. Da er den pseudonymen Kritiker nicht identifizieren konnte, klagte er die Tourismusgesellschaft als Betreiberin des Online-Gästebuches auf Unterlassung. Er argumentierte, die Beklagte habe pflichtwidrig nicht dafür gesorgt, dass ehrenrührige und verleumderische Beiträge im Gästebuch unterbleiben. Außerdem habe sie auch auf Aufforderung die beanstandeten Textpassagen nicht zur Gänze gelöscht.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte die in der zweiten Instanz erlassene einstweilige Verfügung gegen die Beklagte (OGH 21. 12. 2006, 6 Ob 178/04a). In Weiterentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung sprach der OGH aus, dass der Betreiber eines Online-Gästebuches als zumindest technischer Verbreiter der dort vorgenommenen Eintragungen gilt und daher grundsätzlich auf Unterlassung rechtswidriger Inhalte in Anspruch genommen werden kann. Allerdings seien dem Betreiber rechtsverletzende Eintragungen durch Nutzer – im Regelfall – nicht zuzurechnen, wenn weder der Eindruck erweckt werde, dass der Beitrag die Meinung des Betreibers wiedergebe, noch der Betreiber diese Rechtsverletzungen durch sein eigenes Verhalten provoziert habe. Im vorliegenden Fall sei von beidem keine Spur.

Und doch bestätigte der OGH die gegen die beklagte Tourismusgesellschaft erlassene einstweilige Verfügung: Zwar seien Host Provider wie die Beklagte nicht verpflichtet, die von ihnen gespeicherten, übermittelten oder zugänglich gemachten Informationen allgemein (!) zu überwachen oder von sich aus nach Umständen zu forschen, die auf rechtswidrige Tätigkeiten hinweisen. Eine besondere (!) Prüfpflicht aber sei im vorliegenden Fall zu bejahen: Denn nach dem Bekanntwerden der Rechtsverletzungen sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ihr Online-Gästebuch laufend daraufhin zu beobachten, ob es erneute Äußerungen der beanstandeten Art, die für den Kläger eine besonders einschneidende Wirkung haben konnten, enthielten. Das hatte die Beklagte verabsäumt.

Und die Moral von der Geschicht’: Gegen Lech am Arlberg ist die Wiener US-Botschaft ein Mädchenpensionat.

Autor: Dr. Albrecht Haller

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