Jugendliche am Computer

1. Teil – Computerspiele im Unterricht

Ist es möglich, Computerspiele als brauchbares Lernmedium einzusetzen und Spielen in den Lernprozess zu integrieren? Diesen Fragen geht das OCG Journal in einer dreiteiligen Serie nach und berichtet über den neuen Trend in der Ausbildung. Mit Game Based Learning ist die Erwartung verknüpft, möglichst effektiv, weil spielerisch, Wissensinhalte zu erwerben und zu vermitteln.

Vorurteile überwinden
Der Grund, warum Computerspiele heute immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen haben, ist in der Tatsache begründet, dass Spielen von der Erwachsenenwelt als eine Tätigkeit eingestuft wird, deren Platz vor allem in der Kindheit verortet wird und speziell in Computerspielen sehr oft Inhalte geboten und gespielt werden, die ein erwachsener Mensch im realen Leben ablehnen würde. Zusätzlich sind viele Eltern nicht mit Computerspielen aufgewachsen und lehnen das Medium, das sie oftmals in ihrer Komplexität nicht verstehen, ab. Eine schlechte Ausgangslage, um digitale Spiele als ernst zu nehmende Methode für das Lernen unterschiedlicher Inhalte heranzuziehen.

Faktum ist aber, dass der Computer im Leben von Kindern und Jugendlichen heute eine zentrale Rolle spielt, wie die bekannte KIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbund Game Based Learning Computerspiele im Unterricht Südwest eindrucksvoll bestätigt. Und ihre Lieblingstätigkeit ist das Spielen am Computer – alleine oder mit Freunden. Was für die Altersgruppe der bis 19-Jährigen gilt, gilt gleichermaßen für Erwachsene. Gespielt wird immer und überall. Auf dem Handy, am Computer zu Hause, mit der Spielkonsole oder im Internet. Erste Studien zeigen, dass Computerspiele zum Leitmedium des 21. Jahrhunderts werden könnten, weil sie den Umgang mit Medien allgemein prägen.
Warum spielen?

Spielen ist ein kulturelles Phänomen. Johan Huizinga hat das in seinem Werk vom spielenden Menschen, demHomo Ludens, beschrieben. Er fasste, auf teilweise hohem Abstraktionsgrad, die wesentlichen Aspekte zusammen, warum der Mensch, egal welchen Alters, spielt (Details siehe am Ende des Textes). Seine Grundannahme lautet: Spielen ist eine anthropologische Erscheinung.  Durch das Spiel entwickelt der Mensch seine Fähigkeiten, Eigenschaften und letztlich sich selbst. Spielen heißt Kultur aneignen und neu hervorbringen. Es ist ein Weg, sich in der Unübersichtlichkeit der Gesellschaft zurecht zu finden und Orientierung zu finden. Dass Spiele so etwas leisten können, liegt u. a. in der Handlungsfreiheit, die das Spiel bietet, die mit der Folgenlosigkeit im „realen“ Leben verbunden ist. Zusätzlich bietet das Spiel zwei wesentliche Komponenten, die es besonders attraktiv machen: Es unterhält und motiviert weiterzumachen bzw. es zu wiederholen. Warum also nicht im Spiel Lerninhalte so verpacken, dass eine Auseinandersetzung damit als anregend empfunden wird und gleichzeitig eine Verinnerlichung stattfindet? Michael Wagner von der Donau Universität Krems und Konstantin Mitgutsch von der Universität Wien gehen in einem gemeinsamen Forschungsprojekt davon aus, dass digitale Spiele dem Einzelnen helfen, „neue Dinge als Teil der objektiven Welt nutzbar“ zu machen. Und weiter: Es „liegt in der Beobachtung des Spiels der Schlüssel zu einem besseren Verständnis der persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung“.

Play – Game
Wie eingangs erwähnt ist das Wort Spiel wenig positiv besetzt, weshalb es durch entsprechende Zusätze aufgewertet bzw. umgedeutet wird. Aus den (digitalen) Spielen werden Digitale Lernspiele, Computerlernspiele oder Digitale Bildungsspiele. Die englischsprachigen Gegenstücke lauten Serious Games und Educational Games. Diese Bezeichnungen stehen für Spiele, die entweder speziell für den Einsatz im Unterricht entwickelt wurden oder für kommerzielle Spiele, die jeder erwerben kann („off-the-shelf-Produkte“) und sich für den Unterricht eignen (z. B. Geschichtsspiele).

Wenn der Fokus vor allem auf der Aktivität des Spielens (play) und weniger auf dem Spiel als Produkt (game) mit unterschiedlicher Spielbarkeit/Spiellogik (Gameplay) liegt, wird auch der Begriff des  (Digital) Play Based Learning verwendet. Unabhängig von der differenzierenden Begriffsvielfalt wird in weiterer Folge von Serious Games und Game Based Learning die Rede sein. Beide setzen die Spielsituation in Verbindung mit dem Medium, dem Spieler und einem übergeordneten Lernziel.

Beim Spielen werden die motorischen Fähigkeiten sowie die Koordination von Hand und Auge trainiert. Jeder Spieler braucht Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen, auch in schwierigen Situationen. Zusätzlich – und abhängig vom Genre – ist auch taktisches Geschick und vorausschauendes Denken notwendig. Zusätzlich bedarf es der Orientierung in einem virtuellen Raum, der oftmals so gestaltet ist, dass ein Überblick nur eingeschränkt gewährt wird oder aber eine vordergründig barrierelose Welt („open world“) dem Spieler zur Verfügung steht. Geschult wird dabei stets die  Notwendigkeit, Informationen zu bewerten und anschließend Entscheidungen zu treffen.

Diese Eigenschaften treffen in unterschiedlicher Gewichtung auf die meisten Computerspiele zu. Eine lernfördernde Wirkung ist damit noch nicht automatisch intendiert. Hier setzt das Game Based Learning an.

Game Based Learning
Game Based Learning soll die Erwartungshaltung einer Generation treffen, die mit digitalen Spielen aufgewachsen ist und sich intensiv in sozialen Netzwerken (z. B. Facebook, schülerVZ) aufhält. Ihre geänderte Motivationslage, ihre Bedürfnisse und Präferenzen sind mit traditionellen Lernaktivitäten schwer zu erreichen. Spiele erlangen die gewünschte lernfördernde Wirkung, wenn im Mittelpunkt nicht die reine Unterhaltung steht, sondern es darüber hinaus Zwecke und Ziele gibt. Lernfördernde Merkmale sind z. B. eine starke Handlungsorientierung, die selbstständig vollzogen wird. So können Lerninhalte autonom gesteuert werden, eine Rahmenhandlung erlaubt unterschiedliche Settings (unter welchen Gesichtspunkten wird ein Spiel gespielt?) und die Wiederholung von Wissen mit Bezug auf die Realität. Nicht zuletzt gibt es ein Gratifikationssystem, das Leistung belohnt. Die Einsatzbereiche solcher Spiele sind mannigfach: Im Regelschulbetrieb, an Universitäten und Volkshochschulen
(Vorlesungen z. B. in Second Life) und im beruflichen Umfeld (im militärischen Bereich oder bei Organisationen wie der Feuerwehr).

Im zweiten und dritten Teil von Game Based Learning, Computerspiele im Unterricht, berichten wir darüber, welche Spiele wie eingesetzt werden, welche Auswirkung das auf die Unterrichtsgestaltung hat und wie sich das auf das Leben jenseits digitaler Erlebniswelten auswirkt.

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Thesen von Johan Huizinga (1938):
- Spiel ist nicht von vornherein komisch
- Spiel ist freies Handeln
- im Spiel tritt man aus dem „gewöhnlichen“ Leben in eine „zeitweilige Sphäre von Aktivität“
- das Spiel kann „in Beschlag nehmen“: es bindet, löst, fesselt, bannt
- Spiel dient nicht zur Befriedigung von materiellen Lebensnotwendigkeiten
- das Spiel ist begrenzt in seinem Raum und in sich abgeschlossen. Der Sinn des Spiels liegt in ihm selbst begründet.
- das Spiel ist (beliebig) wiederholbar.
- jedes Spiel folgt seinen eigenen Regeln und seiner Ordnung.
- das Spiel birgt Spannung in sich: das ist sein Treiber. Es verheißt Ungewissheit und Chancen

Autor: Mag. Rupert Lemmel-Seedorf

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Quellen und weiterführende Literatur:
Johann Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel.
Rowohlt, 2006
Konstantin Mitgutsch, Herbert Rosenstingl: Faszination Computerspielen.
Braumüller, 2008
Bernward Hoffmann u. a.: Geteilter Bildschirm – getrennte Welten?
Kopaed, 2009
Katie Salen, Eric Zimmerman: The Game Design Reader. MIT Press, 2006
Patrick Felicia: Digital Games in schools. European Schoolnet, 2009
Michael Wagner, Konstantin Mitgutsch: Didaktische Szenarien des Digital Game
Based Learning. Donau Universität Krems, 2008
Winfried Kaminski, Martin Lorber: Spielen in digitalen Welten. Kopaed, 2008

KIM-Studie
Die KIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest ist eine
langfristig angelegte Untersuchung (seit 1999), die das Medienverhalten von
Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren untersucht.

http://www.mpfs.de

Digitales Lernspiel
Zur Begriffsdefinition bietet die Wikipedia eine kurz gefasste Übersicht.

http://de.wikipedia.org/wiki/Digitales_Lernspiel

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