Große Denker und kleine Zitate

September 16, 2010
Dr. Albrecht Haller

Dr. Albrecht Haller ist Rechtsanwalt in Wien und ausgewiesener Fachmann für Urheber-, Marken-, Medien- und Informationsrecht

Über das Veröffentlichen fremder E-Mails

Haben auch Sie schon einmal in einer E-Mail über jemanden gelästert? Und waren auch Sie froh, dass diese E-Mail dem Betroffenen verborgen geblieben ist? Dann wird Ihnen das im Folgenden skizzierte Urteil aus Deutschland (LG Stuttgart 6. 5. 2010, 17 O 341/09) gefallen.

Der Kläger ist freier Journalist und ein so genannter Impfkritiker. Insbesondere im Rahmen des von ihm initiierten „Netzwerkes für unabhängige Impfaufklärung“ informiert er die Bevölkerung über die mit Impfungen verbundenen Risken. Der Beklagte hält den Standpunkt des Klägers für unverantwortlich und gefährlich. Denn der Tod vieler Menschen sei auf unterbliebene Impfungen zurückzuführen, und Impfkritiker wie der Kläger und Vertreter der „alternativen Medizin“ seien mitursächlich für die unzureichende Impfdisziplin mit all ihren Konsequenzen. Der Beklagte betreibt private Websites,auf denen er sich mit drastischen Worten gegen Impfkritiker wendet und unter anderem eine E-Mail des Klägers zitiert, den er im Vorspann spöttisch als „größten lebenden deutschen Denker“ bezeichnet. Der Kläger hatte diese E-Mail im Jahre 2005 an eine geschlossene (!) Mailing-Liste gesandt, in der sich hauptsächlich Ärzte über das Impfthema austauschten. Nachdem der Zitierte den Zitierenden mehrmals vergebens aufgefordert hatte, die Veröffentlichung zu unterlassen, landete die Sache vor Gericht. Das Gericht gab der Unterlassungsklage des zitierten Impfkritikers statt: Denn der Beklagte habe das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt, indem er die für einen beschränkten Empfängerkreis bestimmte E-Mail des Klägers im Internet in verfälschtem Zusammenhang öffentlich zugänglich gemacht habe. Zwar sei die verfahrensgegenständliche, an die Mailing-Liste gerichtete EMail des Klägers weder dessen Intimnoch dessen Privatsphäre, sondern bloß dessen Sozialsphäre zuzuordnen. Doch werde das berufliche Wirken des Klägers durch die öffentliche Zurverfügungstellung der E-Mail des Klägers in dem vom Beklagten gestalteten
Kontext erheblich beeinträchtigt. Der Eingriff in die geschützte Persönlichkeitssphäre des Klägers sei nach Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte nicht durch die Äußerungsfreiheit des Beklagten gerechtfertigt. Und das Gericht wird noch deutlicher:

„Auch wenn seinerzeit keine Maßnahmen getroffen wurden, um die weitere Verbreitung der ausgetauschten E-Mails zu verhindern, so steht doch fest, dass es nicht beabsichtigt war, die Inhalte der per E-Mail geführten Diskussionen zu veröffentlichen oder einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. Im Vertrauen auf die gleiche Gesinnung der Adressaten seiner E-Mail konnte der Kläger seine persönliche Meinung äußern, ohne damit rechnen zu müssen, dass sie von Kritikern kommentiert, veröffentlicht oder angegriffen wird. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger seine persönliche Einschätzung nicht in gleicher Weise geäußert hätte,wenn er sich der Vertraulichkeit seiner E-Mail nicht so sicher gewesen wäre. [...] Zwar muss derjenige, der sich an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt, grundsätzlich das Risiko öffentlicher, auch scharfer, wertender Kritik seiner Ziele auf sich nehmen und Polemik gegen seine Person ertragen; dies bedeutet aber nicht, dass ihm insoweit jeglicher Schutz seiner Persönlichkeit versagt ist. Wenn eine Äußerung gerade im Hinblick auf den geschützten Empfängerkreis abgegeben wird, darf diese nicht veröffentlicht werden – und schon gar nicht in einem anderen, polemisch verzerrten Kontext.“

Polemisch verzerrter Kontext – richtig schade, dass dieser Richter nicht auch für die österreichischen Boulevard-Medien zuständig ist!

Autor: Dr. Albrecht Haller

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